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Fertig machen

Kannst Du grad mal kommen, bitte ?! Nein, kann nicht, muss das hier grad zu Ende machen. Essen ist fertig, komm bitte. Bitte es wird kalt. Ja, ja, ich komme gleich, muss das hier grad fertig noch machen. Wir gehen jetzt, komm doch bitte mit, nur kurz. Nein, kann nicht, muss das hier erst fertig machen.

Bis mir meine Tochter Nele einmal klar machte, dass man sich auf diese Weise vor allem selber fertig macht, weil man sich so immer wieder unter Druck setze. Nichts solle so wichtig sein, sagte sie, als dass man es nicht jederzeit unterbrechen kann.

Seither übe ich. Ich kann einsehen, dass alles was man tut, ohnehin nur vorläufig fertig zu bringen ist. Habe auch schon erfahren, dass das, was auf mich zukommt und ein möchtegern-fertigmachen unterbricht oder verhindert, im Ernstfall ohnehin nicht aufzuschieben ist, zum Beispiel der Tod. Dem ich mal knapp entkommen konnte.

So ist mein Üben auch tatsächlich im Hinblick aufs Sterben motiviert. Ich vermute, dass die Unterbrechung des Lebens und sei es der Abruch, leichter sein wird, wenn ich übe, nicht festzuhalten an dem, was immer ich grade tue und vorhabe, sondern loszulassen wann immer sich Anlass ergibt.

Zum Üben gehört für mich nun auch , dass ich erst garnicht etwas anfange, für das es knapp werden könnte mit der Beendigung vor etwas voraussehbar anderem.
Für ruhige Zeitgenossen mag das eine Selbstverständlichkeit sein. Ich übe mühsam.


Erwartung

Was man vom anderen erwartet, das soll man selber tun. 


Wenn ich selber tue, was ich vom anderen (vergeblich) erwarte, dann erfahre ich am besten, warum der andere es nicht getan hat – bisher. Vielleicht, weil er von meiner Erwartung nichts wusste. Vielleicht, weil er oder sie keine Lust dazu hat – genau so wenig wie ich selbst. Vielleicht aber liegt meine Erwartung auch ausserhalb jeder Realität, zumindest ausserhalb dessen, was der oder die andere als Realität sieht – und niemand kann nachvollziehen, warum ich quasi aus heiterem Himmel mich beklage, dass immer nur ich und niemand sonst von allein darauf kommt, was doch ganz offensichtlich in Angriff zu nehmen wäre, – offensichtlich aber, sagen die anderen, von mir allein als offensichtlich gesehen wird.

Was lerne ich daraus ?
Reden statt erwarten oder selber machen, ohne drüber zu reden. Oder ?

halbvoll

Das fand ich heute als Zitat in einer Mail der »schnellerwandel-liste«.
Die oft zitierte Metapher vom halbvoll- oder halbleeren Glas erweitert um einen systemisch-prozessorientierten Aspekt:
The optimist looks at the glass and says it is half full. The pessimist
says it is half empty. The AI practitioner looks at it and says, » I wonder how
it got half full? Because if we could figure that out, we could get it all
the way full!«

Alan Klein
Muss immer alles voll werden ? Man kann auch fragen: wie ist es halb leer geworden ?
Und wenn das beantwortet ist, dann lässt sich das Glas leicht auch gänzlich leeren:
für vielleicht gänzlich neuen Inhalt, oder aber um leer zu bleiben, damit der bisherige Inhalt endlich ganz verschwunden und erledigt ist und bleibt.

Wahlwerbung

Die so genannte Wahlwerbung wirbt nicht für die Wahl sondern für je eine Partei, sollte daher Parteien-Werbung heissen. Wahlwerbung im Sinn des Wortes würde Werbung für den Tag der Wahl sein, und würde Werbung für das Wählen sein. Zum Beispiel mit bekannten oder unbekannten BürgerInnen-Gesichtern »Ich werde wählen weil …«
oder »Ich freue mich auf den Wahl-Sonntag weil …« oder »Ich wähle per Briefwahl weil …« oder »Ich wähle diesmal besonders gern, weil …« oder »Ich wähle das erste Mal, weil ich für das Wählen werben durfte, statt für eine Partei».

Lampenfieber

Lampenfieber

Vor der Vorstellung 

stellst Du Dir die Vorstellung vor 

und gerätst ins Fieber, 

vor Angst zu versagen.

In der Vorstellung
verflüchtigt sich die Vorstellung, 

es bleibt kein Platz für Angst,
es bleibt Realität.



Das Gift namens »Vorstellung«

vor dem ersten Kuss

vor dem ersten Beischlaf
vor der ersten Vorlesung
vor jeder Vorstellung



Das Gegengift namens »Realität«

für den ersten Kuss

für den ersten Beischlaf
für die erste Vorlesung
für die erste und jede Vorstellung

Den Unsinn mit Anstand gestalten

Muss das jetzt sein ? Ja. Wirklich ? Ja. Wieso denn ? Weiss ich nicht.
 Wie ? Weiss ich nicht !? Muss ich alles begründen ? Na ja, einen Grund muss es doch haben ! Hat es auch. Dann kannst du ihn ja auch sagen. Nein. Nein? Nein Find ich blöd, richtig blöd. Kann sein.
 Wieso sagst Du´s dann nicht, den Grund ? Ich weiss ihn doch nicht.
 Warum machst Du´s dann ? Weil ich will. So ein Unsinn. Na und ? Als ob Du nie Unsinn machen würdest. Ich, nie! Dass ich nicht lache.
 Auf jeden Fall hätte ich einen Grund. Hab ich doch auch. Dann könntest Du ihn ja auch sagen. Du vielleicht. Ich nicht.
3 Tage
später
Siehste ! Darum.

Die »To-do«-Liste

Plötzlich, scheinbar plötzlich, kommt mir in den Sinn, dass ein bisher ruhiger Gedanke meines Denkens doch anders zu bedenken ist. Das ist (war?) der Gedanke: 
Es gibt nur Gegenwart. Vergangenheit ist gegenwärtige Erinnerung und ist gegenwärtiges Denken über Vergangenheit, also Gegenwart. Vor allem: Zukunft ist Fiktion. Die so genannte Zukunft kommt als Gegenwart auf mich zu in Form des jeweils nächsten Schrittes, den zu tun ich eingeladen werde, wortwörtlich nächster, nächstliegender Schritt, jetzt in diesem Moment, gegenwärtig mir angeboten, fast unausweislich. Gegenwart, Gegenwart. Jetzt.


Jetzt aber Zukunft, doch Zukunft.
Scheinbar plötzlich kommt mir in den Sinn: Mit jeder Handlung, mit jedem Wort, mit jedem Schritt produziere ich Zukunft, verfüge ich über Zukunft, verbrauche ich zukünftige Zeit, greife ein in meine zuküntige Zeit und greife ein in zukünftige Zeit von anderen Menschen, bestimme Zukunft, provoziere Zukunft. Indem ich diese Zeilen schreibe, programmiere ich die Korrektur dieser Zeilen, vielleicht die Entscheidung, den Gedanken fallen zu lassen, oder den Gedanken zu diskutieren. Ich weiss nicht einmal, was eigentlich ich programmiere, für oder gegen wen und was ich über Zukunft bestimme. Ich könnte verzagen. Egal, was ich tue, ich verbrauche jetzt, eben jetzt, zukünftige Zeit. Und was ist Zukunft wenn nicht Zeit.


Das ist direkt zu sehen an der täglichen To-do-Liste. Zwischen Aufschreiben und das Aufgeschriebene streichen vergeht Zeit, Zeit, die ich beim Aufschreiben nicht bedacht hatte, jedenfalls nicht als Maß dazu geschrieben habe. Hinzu kommt, dass mehr Ergänzungen als Streichungen die Liste anwachsen lassen und damit den Eingriff in Zukunft erweitert. Der kleine Trick, etwas aufzuschreiben und gleich zu streichen weil ich es schon getan habe, ohne dass es auf der Liste stand, tröstet über den Frust der anschwellenden Liste mit ungestrichenen Vorhaben und Pflichten.

Ich wünsche mir eine Zukunfts-Uhr: sie zeigt zu jedem »To do« drei voraussichtliche Zeitmengen: 1. die Zeit, die vermutlich vergeht bis zum Beginn der Tätigkeit, 2. den vermutlichen Zeitbedarf der Tätigkeit und 3. die Zeit, die beides vermutlich länger braucht als vermutet. Geht auch als Excel-Tabelle oder für den Mac als Numbers-Datei. Was würde geschehen ? Vermutlich würde ich ablesen, dass ich bereits über mein letztes Stündlein hinaus mich und andere festzulegen versucht habe. Welch ein Unsinn.


Was ist der Ausweg ? Prioritäten setzen und sich daran halten ? Schwierig. Gefahr der Selbsttäuschung. Ich bleibe bei der Zuversicht: es gibt keine Zukunft. Zukunft ist nicht erfahrbar. Alles regelt sich entsprechend Energie und Dynamik der Selbstorganisation allen Lebens in jedem jetzigen Moment der Gegenwart. Viele »To-dos« erledigen sich von selbst, viele anders als erwartet. Die Verbindung zwischen Aufschreiben und Erledigen ist fiktiv. Es hat kaum etwas miteinander zu tun. Zukunft ist und bleibt lediglich zukünftige Gegenwart, anders als gedacht, anders als geplant, anders als einmal notiert. Zukunft ist die andere Gegenwart.


Angst

Frage:
Wie hat Ihr Coach Ihnen geholfen, 

die Hürden Ihrer Unternehmensgründung zu nehmen ?


Antwort:
Er hat mir die Angst genommen .


Zwischenruf:

Darf man jemandem die Angst nehmen ?
Wirksam und richtig wäre,

die Angst aufzudecken,
die Angst anzuerkennen, 

die Angst zu erkunden, der Angst zu vertrauen

und schließlich die Angst zu nehmen
als das Tor zum nächsten Schritt.

Potenziale entstehen lassen

Potenziale entdecken? Potenziale entstehen lassen!


Schon Nachrichten gehört heut´morgen? Potenziale, Potenziale. Potenziale werden gesucht: Sparpotenziale. Wo kann man sparen? Welchen Haushaltsposten kann man kürzen? Welche Privilegien kann man beschneiden? Welchen Aufwand kann man streichen? Was bisher scheinbar gut lief, läuft nicht mehr. Die Devise heisst: Streichen, streichen, streichen. 
Wir aber sagen: Entdecken, entfalten, fördern. Als Führungskraft, als Berater, als Entwickler, als Coach suchen und finden wir ungenutzte Potenziale im System. Wir finden aber nichts anderes, als was schon da war – in der Regel so naheliegend, dass es einfach übersehen worden war. Immerhin. Entdeckt, entfaltet, ermuntert, gefördert. Das trägt dann eine Weile, dann läuft es erstmal wieder. 
Aber war da nicht die Idee, ja die Notwendigkeit von wirklich Neuem ? War da nicht die Forderung nach radikalem Umdenken und war da nicht eine Vermutung von ungeahnten Möglichkeiten? Ahnung und Ermöglichung. Das ist mehr als die Entdeckung von zwar verdecktem, darum unbekannt aber doch vorhanden. 


Wie entsteht das Unvorhandene? Wie ist das Ungeahnte zu ahnen? Wie ist das Mögliche zu ermöglichen, wie kommt der Frosch als Prinz und das Entenküken als Schwan zu Stande und in Bewegung?

Solange wir auf den Frosch oder das Entenküken oder den Klienten, das Unternehmen oder das Sysem schauen, können wir zwar mehr sehen als Frosch, Entenküken, Klient, quantitativ mehr, auch aus anderer Perspektive, aber wir können nichts Anderes sehen als das was da ist. Frosch bleibt Frosch, Entenküken wird bestenfalls Ente oder Erpel, Klient bleibt Klient.
Wenn es wirklich und wirksam um Neues als Potenzial geht, dann geht es nicht um Entdeckung sondern dann geht es um Entstehung. 


Potenziale entstehen lassen heißt, sich selbst neu entstehen lassen. Dabei ist das wirkende Wort nicht »entstehen« sondern das wirkende Wort ist »lassen«. Anderes und Andere (zu)lassen.

Der Maler Gerhard Richter, derzeit mit zwei großen Ausstellungen in Berlin geehrt, wird zitiert »Bei den abstrakten Bildern entstehen so vage Vorstellungen, die dann eben mal umgesetzt werden wollen. So beginnt es, und fast immer kommt was anderes raus, als ich geplant habe.« Die Schlüsselworte sind: »vage« (Unbestimmtheit), »eben mal« (Beiläufigkeit), »beginnt« (Ingangsetzung), »was anders als geplant« (Innovation). Das Potenzial ist die Differenz zwischen Beginn und Ergebnis.


Wie können wir als Führungskraft, als Berater, als Entwickler, als Coach selbst qualitativ anders sein, uns anders verhalten, um uns selbst und Anderen das Andere als Potenzial zu ermöglichem? 
Sein lassen, zulassen, kommen lassen, gehen lassen? Es gibt wohl keine generelle Antwort. Aber es gibt in jedem Moment, in jeder Handlung die Möglichkeit, eine Antwort zu praktizieren: Ich kann es anders machen als gewohnt, anders als vertraut, anders als erwartet. Gegen alle Erfahrung ein Experiment unterstützen. Jemandem etwas zutrauen, was derjenige sich selbst nicht zutraut. Wider besseres Wissen einen Weg zulassen. Jemandem danken, der es nicht verdient hat. Jemandem verzeihen, der es nicht verdient hat. Als Führungskraft sich führen lassen von den Geführten, als Berater begleiten statt Rat zu geben.

Veröffentlicht in LO Zeitschrift für relationales Management und Organisation, Wien, April 2012

Wie kommt Neues in die Welt

Lebensalter – Menschheitsalter
Wie kommt Neues in die Welt ?


Das Heidelberger Institut für Systemische Forschung e.V. lädt ein zu einem internationalen Symposium im Mai 2012 mit der Frage
»WIE KOMMT NEUES IN DIE WELT ?«
Meine Frage lautet:
»KOMMT NEUES IN DIE WELT ?«

Meine kürzlich geborene Enkelin Sophia Maris war einen Tag nach ihrer Geburt 
schon doppelt so alt wie am Tage der Geburt. Ihre Lebenserfahrung hatte sich bereits verdoppelt in nur zwei Tagen ihres bisher ganzen Lebens.
Wenn ich selbst morgen abend schlafen gehe, dann bin ich im Rückblick auf heute abend nur ein sechsundzwanzigtausendsiebenundneunzigstel meines Lebens älter geworden mit einem entsprechend geringen Zuwachs an Lebenserfahrung in meinem bisher ganzen Leben. Und von morgen auf übermorgen ist das sogar nur noch ein sechsundzwanzigtausendachtundneunzigstel meines Lebens.

Je älter ich werde desto langsamer entferne ich mich aus meiner Vergangenheit, desto langsamer nimmt meine Erfahrung zu. Von der enormen Entwicklungsgeschwindigkeit der ersten Tage meines Lebens habe ich keine Ahnung geschweige denn gar Erinnerung.
Wenn ich dies auf das Alter und das Altern der Menschheit übertrage,
dann nehme ich an, dass seit Entstehung mit zunehmendem Alter die Menschheit immer langsamer alt wird, sich immer weniger entwickelt und immer weniger an Erfahrung gewinnt. Ich meine Erfahrung, ich meine nicht technisches Wissen. Ich meine die Erfahrung, mit sich selbst und mit anderen klar zu kommen.
So erkläre ich mir, dass nichts wirklich Neues in der Welt geschieht, keine wirklich neuen Gedanken, kein wirklich neuer Umgang miteinander, keine wirksam neue Idee, um mit sich selbst und mit anderen einvernehmlich klar zu kommen. 
Die wesentlichen großen Zuwächse an Entwicklug und an Erfahrung liegen unerinnerlich und unverfügbar am Beginn der Menschheit vor hunderttausenden von Jahren. Wir Heutigen in der späten Zeit der Menscheit sind Zeitgenossen einer kurzen Spanne von nur wenigen Tausend Jahren, in denen wir uns nicht mehr wesentlich weiter entwickelt haben. Sintflut und Arche Noah, Kreuzzüge, Völkerwanderungen, Renaissance, Reformation, Sklavenhandel, Folter, Krieg, Massenkonsum und Massenvernichtung, die alten Griechen, die chinesischen Weisen, Leonardo da Vinci, Hiroshima und Fukoshima, Hannibal, Nero und Ghandi, all das ist präsent, ist Gegenwart, war und ist zeitgenössisches Handeln und Denken. Zwar sind seit je her und weiterhin durchaus Kräfte im Spiel mit dem Anspruch auf Neuheit und Erneuerung, mal kräftiger mal schwächer aber kaum je wirksam in der kurzen Spanne unserer Zeit seit vielleicht zehntausend Jahren. Die Menschheit ist alt und nur noch in Tausendstelschritten beweglich.
Vielleicht aber könnten wir von Neugeboren lernen, wie Neues in die Welt kommt. 
Wir müssten herausbekommen, wie sie das machen, von heut auf morgen ihre Erfahrung und ihre Fähigkeiten zu verdoppeln gleich nach der Geburt. Eine kleine Weile geht das noch weiter bei den Kleinen mit abnehmender Geschwindigkeit, bis dann wir Alten mit unserer Verziehung die Kinder auf den Stand der nicht mehr sich ändernden alten Menschheit bringen und sie zu Zeitgenossen machen.
Wie kommt Neues in die Welt ?
Schaut auf die Säuglinge ! Von Tag zu Tag !
Schaut auf die Kleinsten der Kleinen !